Dr. Sebastian Gradinger ist seit 2010 Geschäftsführer der WÖHRL Akademie GmbH auf Schloss Reichenschwand. Der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler aus Villingen-Schwenningen verfügt neben mehrjähriger Lehrpraxis im Hochschulbereich auch über fundierte, praktische Erfahrungen im Einzelhandel u.a. dm-drogerie markt und Peek & Cloppenburg. Die WÖHRL Akademie auf Schloss Reichenschwand wurde 1988 von der Rudolf WÖHRL AG als Unternehmensakademie gegründet. Rund 1.500 Teilnehmer  nehmen hier pro Jahr an durchschnittlich 120 Seminaren, Schulungen und individuellen Coaching-Maßnahmen teil. Diese Akademie ist eine Unternehmensakademie mit Tradition.

Die Wöhrl-Akademie bietet seit 1988 eine Vielzahl von Maßnahmen zur Weiterbildung, Personalentwicklung und Nachwuchsförderung an.Neue Wege in der Personalentwicklung beschreitet die Wöhrl-Akademie mit Ihrer Initiative „Integration und Interaktion leben“. Mehr Informationen erhalten Sie unter: www.woehrl-akademie.de

Was Nachhaltigkeit mit gesundem Menschenverstand verbindet

Die Fragen an Dr. Gradinger stellte Dr. Alexandra Hildebrandt, Nachhaltigkeits- und Wirtschaftsexpertin sowie DFB-Nachhaltigkeitsbeauftragte

Nachhaltigkeit, heißt es vielfach, ist „Next generation leadership“. Es ist eine Sog auslösende Vorwärtsbewegung, die Handlungsspielräume erheblich erweitert. Weshalb braucht es Vernetzung, Verantwortungsbewusstsein und den Mut zum Querhandeln in Unternehmen?

Wir alle agieren in einer vernetzten, von zunehmendem Tempo getriebenen Infor­mationsgesellschaft. Das erweitert und verengt zugleich unsere Handlungsspiel­räume, insbesondere wenn wir Entscheidungen treffen und verantworten müssen. Der Unternehmensethiker Andreas Suchanek, einer der führenden deutschen Experten im Bereich Unternehmensverantwortung, definierte vor diesem Hinter­grund schon 2001 die „Goldene Regel der ökonomischen Ethik“: „Investiere in die gesellschaftliche Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.“ Das bedeutet: Wir haben verstanden, dass wir durch die Herstellung von Win-Win-Situationen mehr erreichen und nachhaltiger wirksam sein können als allein durch Konkurrenz und Wettbewerb. Diese Erkenntnis, das Abweichen von klassischen Handlungsmustern, erfordert Mut. Auch wenn wir in einer Welt, in der nichts beständiger ist als der Wandel, faktisch dazu gezwungen sind: Nur wer den Wandel leben und sich beständig anpassen kann, kann sich auf Dauer treu bleiben. Das ist es, was gute Führungskräfte heute ausmacht – und was ihnen mitunter wahrscheinlich den meisten Mut abverlangt. Verantwortungsbewusstsein ist der erfolgversprechendste Treiber dafür, diesen Mut aufzubringen. Verantwortung lässt sich dabei auch nicht mehr auf den beruflichen Bereich begrenzen: Wer verantwortungsbewusst handelt, wird dies in einem ganzheitlichen Sinne tun, also im privaten bzw. gesellschaftlichen wie auch im beruflichen Umfeld. Daraus wiederum erwachsen Beziehungen und Bindungen, die den Einzelnen tragen – die Vernetzung, von der wir eingangs gesprochen haben. So gehen Vernetzung, Verantwortungsbewusstsein und der Mut zum Querhandeln miteinander Hand in Hand.

Welche Rolle spielt dabei der "gesunde Menschenverstand"?

Die Personalentwicklung der letzten Jahre war überfrachtet von einer enormen Komplexität von Methoden; die Entwicklung von Menschen und ihren Fähigkeiten wurde theoretisiert, der Praxis entfremdet, intuitivem Handeln unzugänglich ge­macht. Aus diesen komplizierten Konzepten heraus wurden „übertrainierte Führungskräfte“ geformt, die nicht mehr in der Lage waren, Entscheidungen mit ihrem gesunden Menschenverstand zu treffen. Wir haben damit in teure Entwick­lungsmaßnahmen investiert, die den Führungskräften das Zutrauen nahmen, dass eigene, erfahrungsbasierte Entscheidungen sinnvoll und erfolgversprechend sind. Heute wünschen wir uns auf Basis dieser Erfahrung hingegen wieder Führungskräfte, die sich statt auf gelerntes Wissen mehr auf ihre Intuition und ihren Verstand verlassen. Denn nur damit können die Führungskräfte der Zukunft auf die Schnell­lebigkeit ihrer Umgebung wirklich einlassen und auf unvorhergesehene Ereignisse rasch, souverän und mit Mut reagieren.

Weshalb wird die Suche nach dem „Wahren“ und „Echten“ – der Authentizität – zukünftig im gleichen Maße essenziell sein wie die Kommunikation über die Nachhaltigkeit von Produkten?

Die Informations- und Kommunikationsgesellschaft überflutet uns mit vielfach nutzlosem Detailwissen und inszenierter Oberflächlichkeit. Wenn wir entscheidungs­fähig bleiben wollen, sind wir gezwungen, uns wieder auf das Wesentliche zu reduzieren und den Kern der Dinge zu erfassen. So lässt sich beobachten, dass beispielsweise die Inszenierung in der Werbung in den letzten Jahren zunehmend abnimmt: Kosmetikmarken wie Dove zeigen Frauen mit silbergrauem Haar oder  rundlichen Formen, Fielmann wirbt nicht mit Models, sondern mit den Aussagen echter Kunden. Authentizität bedeutet, dass wir uns mit etwas identifizieren oder zumindest darauf vertrauen können – ein roter Faden, der sich von der Finanzkrise bis zum Erfolg der Piraten längst auch durch den öffentlichen Raum zieht. Selbstverständlich macht diese Sehnsucht vor dem Privat- und Berufsleben nicht halt. Deshalb folgen wir lieber authentischen Managern, die Kompetenz und Führung nicht inszenieren, sondern authentisch leben und erlebbar machen. Eine authentische und berechenbare Führung lässt Vertrauen entstehen – und fördert damit auch eine nachhaltige und gesunde Unternehmensentwicklung. Menschen brauchen Ideale, aber sie wollen in erster Line Menschen folgen, von denen sie überzeugt sind.

Der Sänger Marc Marshall brachte den verantwortungslosen Umgang mit Nachhaltigkeit einmal in BUNTE (Juni 2008) zur Sprache: „Die immer wiederkehrende ‚Operation am offenen Herzen’ ohne Kompetenz und ohne Nutzen für den Patienten sollte verboten werden! Der Absturz vieler ‚Super- und Popstars’ hat gezeigt, dass der kurzfristige Erfolg am meisten denen im Hintergrund nutzt und die Protagonisten hilflos sind. Für mich sind und bleiben diese Wettbewerbe ‚moderner Menschenhandel’, der die Ohnmacht der Industrie demonstriert. Diese hat vor Jahren versäumt, Künstler langfristig aufzubauen.“ Was bedeutet Ihnen diese Aussage vor dem Hintergrund der Managementaufgabe, Führungskräfte nachhaltig aufzubauen?

Die Managementaufgabe, Führungskräfte nachhaltig aufzubauen, kommt heutzutage der Quadratur des Kreises gleich. Manager agieren heute doch unter Rahmenbedingungen, die Nachhaltigkeit geradezu unmöglich machen. In einem Umfeld, das sie zwingt, ihr Handeln kurzfristig auszurichten. Im nachhaltigen Management sind Berechenbarkeit, Kompetenz, die lange Perspektive und damit Konstanten wichtig, die über den Tag hinaus tragen. Die Managementverträge werden dagegen extrem kurzsichtig, auf zwei, drei oder fünf Jahre, geschlossen. Wer innerhalb dieser Frist Ziele erfüllen und Erfolge vorweisen muss, kann weder nachhaltig wirtschaften und handeln, noch seine Mitarbeiter authentisch führen. Die Folge: Gerade auf den unteren Führungsebenen werden die Top-Manager schon lange nicht mehr ernst genommen. Jeder weiß: Schon bald kommt wieder ein neuer Manager im weißen Kittel, der am offenen Herzen operieren wird – auch er wieder mit dem Druck im Hintergrund, schnelle Ergebnisse, im Zweifel ohne längeren Bestand, zu liefern. Um im Bild zu bleiben: Der Arzt verordnet eine Therapie, die den Patienten schnell wieder auf die Beine bringt. Ob dieser aber jemals wieder weite Strecken wird laufen können, spielt für den Arzt mit Zeitvertrag keine Rolle.   

Welchen Beitrag dazu leistet die Wöhrl-Akademie? Welche Ziele verfolgt sie?

Die WÖHRL Akademie verfolgt eine Weiterbildung, die nachhaltig ist – indem sie das im Unternehmen vorhandene Wissen in den Entwicklungsprozess integriert und die Nachwuchsführungskräfte in Interaktion mit anderen bringt. Voneinander lernen und den Blick über den Tellerrand wagen, immer an der Praxis und authentischer Erfahrung orientiert – das ist es, womit Führungskräfte ein Handwerkszeug erwerben, das sie auch in Zeiten des Wandels flexibel und souverän agieren lässt. Wir sind überzeugt davon, dass Führungskräfte in Zukunft viel stärker in ihre eigene Entwicklung integriert und damit in die Verantwortung für ihre eigene Entwicklung genommen werden müssen. Nur so kann eine Führungsethik im Sinne Ihrer ersten Frage entstehen, die Vernetzung, Verantwortungsbewusstsein und den Mut zum Querhandeln aus sich selbst heraus hervorbringt.

Welchen Herausforderungen muss sich der Handel künftig stellen? Welche Risiken und Chancen sind damit verbunden?

Viele Handelsunternehmen, wie auch WÖHRL, sind durch relativ flache Hierarchien geprägt. Junge, gut ausgebildete Führungskräfte kommen im Einzelhandel daher schnell in Verantwortung und können dementsprechend attraktive Karrieren machen. Das sind optimale Bedingungen für den Einstieg. Jedoch steht der Handel eben dadurch gleichzeitig vor dem Problem, diese Führungskräfte auch auf Dauer zu halten. Ambitionierte, die vielleicht mit Ende zwanzig schon ein eigenes Haus mit 60 Mitarbeitern führen, sehen fünf Jahre später in der Verantwortung für ein größeres Haus mit 80 Mitarbeitern wahrscheinlich keine echte Verbesserung oder Herausforderung mehr. Wir müssen daher anhaltend spannende Perspektiven bieten, um die Fluktuation im Handel im Griff zu behalten. Denn gerade im Handel sind aufstrebende und erfahrene Führungskräfte ein wertvolles Kapital, das man pflegt und langfristig halten möchte. Dies zu bewerkstelligen, ist eine Herausforderung, für die wir zeitnah Lösungen finden müssen.

Was bedeutet die Auseinandersetzung mit "Nachhaltigkeit" für Sie persönlich?

In meinen Augen bedeutet Nachhaltigkeit, dass man sich auch in Führungspositionen nicht unersetzlich macht, um daraus Selbstbewusstsein zu beziehen. Getreu dem Motto: „Sie sind dann ein erfolgreicher Chef, wenn Sie das Gefühl haben überflüssig zu sein.“ Ein guter Manager ist für mich der, der vorsorgt. Damit Projekte auch dann weiterlaufen, wenn er als der Verantwortliche von heute auf morgen krank wird oder aus anderen Gründen ausfällt. Das heißt natürlich, beizeiten Verantwortung zu delegieren und die Mitarbeiter in alle wichtigen Prozesse einzubinden. Das ist nur möglich, wenn man sich als Manager von der Hybris verabschiedet, nur man selbst könne alles richtig machen. Ich traue meinen Mitarbeitern viel zu, vertraue ihnen auch wichtige Entscheidungen an, vertraue ihren Fähigkeiten - und bereite sie so darauf vor, meine Arbeit nachhaltig fortzuführen, falls ich selbst dazu eines Tages nicht mehr imstande sein sollte. Das ist mein Verständnis eines nachhaltigen Managements. 

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